Science 2.0 und Soziale Innovation
22. Mär 2013
Wissenschaft und Forschung nutzen immer häufiger die Möglichkeiten von Web 2.0. Wie unterscheidet sich Science 2.0 respektive Research 2.0 von kommerziellen Feldern?
Web 2.0 stellt eine Art Versionswechsel dar: Im Web 1.0 gab es eine nachvollziehbare Urheberschaft, einen zentralen Autor oder Autorencommunity, die Inhalte festlegte und veröffentlichte, ähnliche wie in einem Buch mit statischen Inhalten.
Web 2.0 stellt im Grund die Infrastruktur, den Produktionsrahmen für Userinput zur Verfügung. Die Inhalte werden dann zugeliefert. Einerseits wird die Bandbreite der Perspektiven größer, andererseits ist das gleichzeitig auch ein Negativeffekt. Man kennt die Quelle, den Autor nicht mehr so genau. Diese Analogie lässt sich auch auf die Forschung umlegen. Auch hier geht es um Autorität und Gültigkeit. Forschung unterliegt stark Bewilligungs- und Verteilungsmechanismen, das heißt: Wer darf wann, wo und wie publizieren. Mit Hilfe von Web 2.0 können ForscherInnen Ideen relativ unabhängig von Wissenschaftsverlagen und Fachmagazinen einer interessierten Öffentlichkeit vorstellen.
Wissenschaft und Forschung 2.0 sind im Bestfall offen, kollaborativ, partizipativ und mobil angelegt?
Spannende Aspekte sind beispielsweise die erweiterten Distributionsmöglichkeiten und die neuen Publikationsformate. Das heißt, man kann Beiträge leicht mit weiterführenden Präsentationen, Videos, Audiocasts oder Datensätze ergänzen, in virtuellen Netzwerken verbreiten und Diskussionen zu den Datensätzen entwickeln. Die eigentliche Publikation wird dadurch reichhaltiger und vielschichtiger.
Wo liegen die Grenzen dieser neuen Feedbackkultur?
Grundsätzlich sollte man sich als FoscherIn überlegen, wo Feedback hilfreich ist. Feedback hat für mich viel mit Akzeptanz zu tun, aber auch mit Wissensgenerierung. An bestimmten Stellen macht es sicher Sinn, Feedbackmöglichkeiten auszuklammern. Letztendlich muss man sich bewusst sein, dass Forschung durch die öffentliche Hand finanziert wird, die auch einen Anspruch auf die Begründung hat, warum Geld ausgegeben wird. Ich bin der Meinung, dass es eine gewisse Verantwortlichkeit seitens der Institutionen gibt, mit den Geldgebern in einen öffentlichen Dialog zu treten. Dialog heißt, dass Feedback erwünscht und das Fragen, sowie Bewertungen zugelassen werden. Das trägt sicherlich zu einer gewissen Realitätsnähe von ForscherInnen bei. Vor allem für die angewandte Forschung kann das förderlich sein. Im Feld der Grundlagenforschung sehe ich den Nutzen dieser neuen Feedbackkultur eher kritisch. Ein Negativeffekt wären beispielsweise populistische Angriffe, die zu kurz greifen und der Forschung schaden.
Generell gehe ich davon aus, dass Feedback einen hilfreichen Input ermöglicht, falls eine stärkere Akzeptanz für mein Forschungsvorhaben notwendig ist. Eine zentrale Frage lautet für mich: Kann meine Forschung gewinnen, wenn ich mich mit zukünftigen Nutznießern austausche? Feedback ist nicht nur ein Opfer des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin, mit dem Zeit verschwendet wird, die besser in das Studium von Literatur investiert wäre.
Welche Tools werden im Forscheralltag des ZSI-Bereichs Technik & Wissen verwendet?
Ich bin wohl kein prototypischer User von Web 2.0, aber ich tweete und betreibe seit einiger Zeit einen Blog, auf dem ich um eine ausschweifendere Diskussion zu meinen aktuellen Forschungsvorhaben bemüht bin. LeserInnen erhalten hier einen anderen Zugang zu meiner Forschung. Meine Tweeds basieren vor allem auf Werteaussagen, ich lese beispielsweise etwas Interessantes und gebe dies an meine Follower weiter. Für mich ist Twitter auch eine Art Bookmark-System.
Stichwort Bookmarking: Mit welchen Bibliografie-Management-Tools arbeiten Sie?
Ich arbeite aktuell noch mit Endnote, wohl das Pioniertool, möchte aber auf Zotero umsatteln. Das benötigt Vorlaufzeit, da die Bibliothek und alle Datenbestände im Hintergrund übertragen werden müssen, was wohl nicht ganz ohne Verluste geht.
Die Verbindung mit fachlichen Netzwerken ist ein Aspekt, der Zitationstools näher an das Feld Forschung 2.0 bringt: An sich handelt es sich um Produktionstools, mit denen man schneller und effizienter ist. Sobald meine Quellen öffentlich sind, werden diese auch zu einem Anknüpfungspunkt für andere ExpertInnen. Man identifiziert sich über diese Quellen mit anderen, und findet Anknüpfungspunkte für einen Austausch.
Auf welchen Netzwerken sind Sie aktiv?
Hauptsächlich auf Twitter und LinkedIn, hier ist der Aufwand nach meiner Erfahrung am geringsten. Andere spezifische ForscherInnen-Netzwerke wie Mendeley, Academia oder Researchgate habe ich getestet. Man sollte sich den Mehrwert genau ansehen. Forschung 2.0 muss klar zeigen, was es bringt. Nur eine vermehrte Dateneingabe ist sicherlich nicht zielführend, der Ressourcenaufwand muss einen positiven Effekt für die Arbeit haben. Beispielsweise gibt es Academia- NutzerInnen ein neues, interessantes neues Service. Seit einiger Zeit erhalte ich Infomails, wer sich, wie oft, welche Beiträge von mir ansieht. Das vermittelt mir eine Idee, was in der Breite von Interesse ist, manchmal mit überraschenden Einsichten. Ein Aspekt der Feedbackkultur ist, dass man als Forscher sehr rasch direkt und indirekt eine Wertung von außen erhält.
Welche der acht laufenden Projekte im Bereich Technik & Wissen betreiben Research 2.0?
Im indirekten Sinn auf jeden Fall, explizit mit dem Thema Research 2.0 beschäftigt sich kein Projekt. Wenn es darum geht, Forschung als partizipative Projekte zu verstehen, wäre beispielsweise das Projekt Societic zu nennen. In SOCIENTIZE wird die Öffentlichkeit zu verschiedenen Fragen als Inputgeber eingebunden. Es geht zum Beispiel um die Messung von Temperatur im öffentlichen Raum, explizit um Hitzeinsel in Städten, die bis auf Straßenzüge runtergebrochen werden können.
Ein zweiter Aspekt ist das Auswerten von Rohdatenmengen, die auch in informell geschrieben Foren sind, wie Blogeinträge. Das Projekt TEL-Map setzt hier an und forscht nach Trends. Auch TEL-Map ist partizipativ angelegt. Neben der Analyse von Topartikel in Zeitschriften, fokussiert das Projekt auf die Analyse von Expertenblogs, in denen einfach informeller und experimentierfreudiger agiert wird. In Forschungspaper bin es gewohnt, darzulegen, das sind meine Hypothesen und meine Daten und das hat sich bestätigt oder auch nicht. In einem Blog kann ich als Forscher kreativ über zukünftige Entwicklungen „rumspinnen“.
Diese analysieren wir im Projekt auf mehreren Ebenen. Wir fragen: „Was sind die Sorgen und Ängste?“ Gerade beim Thema Technologie und Lernen kann man schnell negative Szenarien entwickeln, zum Beispiel den „gläsernen Schüler“, der später eventuell Schwierigkeiten bei der Jobsuche hat, weil eine negative Note in einem Fach elektronisch gespeichert wurde und zugänglich bleibt. Daten bekommen durch die elektronische Speicherung eine ganz andere Persistenz.
TEL-Map verfolgt das Ziel bei Forschungsanstrengungen im Bereich E-Learning richtungsweisend zu wirken und politische Gremien für anstehende Themen zu sensibilisieren, sowie die Analyse, das Agenda Setting, Disagreement Management, sowie das Road Mapping zu unterstützen.
Das Zentrum für soziale Innovation ist seit mehr als 20 Jahren ein Pionier Bereich soziale Innovation und Innovationsforschung. In Anlehnung an den Claim des ZSI gefragt: Alle Innovationen sind sozial relevant?
Innovation wird sehr stark mit technischem Fortschritt und technokratischer Veränderung gleich gesetzt. Bei konkreter Nachfrage wird die soziale Dimension von Innovation anerkannt, ansonsten wird sie eher als ein „Beigeschmack“ von Innovation und nicht als eigenständiger Aspekt wahrgenommen. Das ZSI verfolgt an dieser Stelle das Ziel, der sozialen Dimension von Innovation zur Sichtbarkeit und Relevanz zu verhelfen. Im Bereich T&W sind wir häufig in Projekten tätig, die mit Vollbluttechnikern zu tun haben. Das sieht dann folgend aus: ComputerwissenschaftlerInnen entwickeln ihre Tools und Methoden und wir untersuchen, wie sich diese Erneuerungen auf das Leben der AnwenderInnen auswirken und das Leben verbessern. Sobald Innovationen zum Einsatz in einer größeren Breite kommen, führt das im Bestfall zu systemischen Verbesserungen. Beispielsweise verändert sich dann die Art und Weise, wie Bildung bewertet wird. Das wäre dann eine soziale Innovation.
Zur Person Christian Voigt
Dr. Christian Voigt ist Senior Reseacher am ZSI und übernahm 2012, nach acht Jahren erfolgreicher Forschungs- und Lehrtätigkeit an den Universitäten von South Australia (AU) und Koblenz-Landau (DE), die Leitung des Bereichs Technik & Wissen (T&W). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich kollaborative Lerntechnologien und Evaluation von Software-Lösungen für Institutionen im öffentlichen Sektor. Weitere Arbeitsgebiete sind sozioökonomische Impact-Analysen von E-Infrastrukturen. Christian Voigt ist Projektleiter der EU-Projekte Stellar (Network of Excellence in TEL) und TEL-Map (Roadmapping the future of Learning Technologies).
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