"Wozu forschen BürgerInnen?" PR für das Wissen von der Straße
5. Sep 2014
Ein Zusammenhang von Citizen Science (BürgerInnenwissenschaft) und sozialer Innovation liegt nahe und lässt in Gesprächen darüber reflexartig Erwartungen in Bezug auf einen hohen gesellschaftlichen Nutzen aufkommen. Dieser ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, so unterschiedlich und kontextualisierungsbedürftig sind Aufbau und Fragestellungen der Projekte. Citizen Science umfasst unterschiedliche Ausprägungsformen, die beispielsweise durch die Art und Intensität der Beteiligung von BürgerInnen und WissenschafterInnen unterscheidbar werden. International populär wurde der Ansatz durch plakative Galaxie- und Vogelzählprojekte. Die Themen und Verfahren sind jedoch bei weitem vielfältiger und reichen von der Zoologie, Meeresbiologie, Medizin bis hin zur kollaborativen Musikkomposition, in denen WissenschafterInnen neue Ansätze für die Innovationsforschung zu finden hoffen. In eine ähnliche Kerbe schlagen Konsultationen von BürgerInnen zu Themen wie Nanotechnologie im Alltag, die mit Hilfe von Wissenschaftskommunikation zu einer bewussten und fundierten Meinungsbildung beitragen wollen.
Bei all diesen Formen spielen eine ausbalancierte Vermittlung von Orientierungs- und Spezialwissen und das gegenseitige Lernen auf „gleicher Augenhöhe“ zwischen Laien und ForscherInnen eine wesentliche Rolle ist Ilse Marschalek, ZSI-Projektleiterin von NanOpinion, überzeugt. Gleichzeitig ist die Wirkung, ausgehend von partizipativen und dialogorientierten Maßnahmen, nur mit einem hohen Aufwand erfassbar. Dies wäre aber notwendig, um Vertrauen in diesen aufwendigen Weg bei Fördergebern und Bevölkerung zu schaffen. Auch Barbara Kieslinger, ZSI-Expertin und Mitarbeiterin des europäischen BürgerInnenwissenschaftsprojekts Socientize, sammelte ähnliche Erfahrungen und verweist darauf, dass es keine Standard-Projekte gibt. Entsprechend werden auch immer unterschiedliche Wege zur Erfolgsmessung notwendig. Eine weitere Herausforderung sieht Barbara Kieslinger in den Vorgaben der öffentlichen Förderung, wie bespielsweise eine auf wenige Jahre begrenzte Finanzierung. Diese können den nachhaltigen Erfolg nach einem gelungenen Anschub wieder unterlaufen. Jene Projekte der BürgerInnenwissenschaft, die Erfolg versprechen, inkludieren, so die Forscherin, immer ausgeklügelte Anreizsysteme für LaienwissenschafterInnen. Der beste Treiber ist die intrinsische Motivation, wie sich bei Projekten zum Beispiel im Bereich der Krebsforschung im Rahmen des Projekts Socientize gezeigt hat.
Ein regelrechtes Plädoyer verfasste der deutsche Autor Peter Finke mit seiner jüngsten Publikation: In dieser attestiert der Wissenschaftstheoretiker der Wissensproduktion von Laien für Wissenschaft und Forschung ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial, so es den VertreterInnen gelingt, eine „kritisch-kooperative“ Konzeption zu entwickeln. Die besondere Attraktivität speist sich aus Problemen und Fragenstellungen, die aus dem Leben stammen. BürgerInnenwissenschaft folgt, aus diesem Blickwinkel betrachtet, dem Postulat einer emanzipatorisch verfassten Wissenschaft.
Diese positive Beurteilung wird keineswegs einhellig im Kreis der Professional Science geteilt. Wie Finke meint, geschieht dies aus Unsicherheit durch eine fehlende disziplinäre oder methodische Absicherung den wissenschaftlichen Boden unter den Füßen zu verlieren. Gleichzeitig zählen vorrangige Argumente für die BürgerInnenwissenschaft wie Praxistauglichkeit und Nützlichkeit nicht zum wissenschaftlichen Kerngeschäft oder sind nur ein Aspekt davon.
In diesem Zusammenhang kommt Wissenschafts-PR eine wesentliche Rolle bei der Imagebildung und Reputationspflege von Citizen-Science-Projekten gegenüber den eigenen Reihen der Fachwelt zu. Um an Popularität zu gewinnen, laufen viele Präsentationen Gefahr, ein unrealistisches Bild anhand von zu offensichtlichen Erfolgsmeldungen abzugeben – eine Strategie, die zumeist schnell entlarvt wird und bei Fachwelt und interessierter Öffentlichkeit zu Desinteresse führt. Um aus der Sackgasse der PR-Erfolgsgeschichten zu gelangen, müssen Wissenschafts-PR und Journalismus neue Erzählmuster entwickeln, die den Wert der grüblerischen Seite von Forschung sowie das Lernen in heuristischen Erkenntnisschleifen auf spannende Weise offenlegen.
Dieser Kommentar ist ein Auszug eines Beitrags für die Ausgabe 27 des XING Magazins, die im September erscheint.
Quellen
Interviews mit den ZSI-Expertinnen Ilse Marschalek und Barbara Kieslinger im August 2014
Peter Finke: Citizen Science: Das unterschätze Wissen der Laien. München 2014
Project consortium of Socientize (ed.): White Paper on Citizen Science in Europe
Das Weißbuch erscheint im Oktober 2014 und wird als Download online zur Verfügung stehen: www.socientize.eu
Aktuelle ZSI-Projekte zu Citizen Science, Wissenschaftskommunikation, Crowd Sourcing
www.socientize.eu http://nanopinion.eu www.cap4access.eu
Zur Person
Pamela Bartar studierte Kommunikationswissenschaft und Kulturmanagement und arbeitet seit 2009 als Projektmanagerin für Corporate Communications am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) in Wien.
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