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XING Magazin: Der Kommunikationsmix der Citizen Science

1. Dez 2014

– Werbetrommeln für Bürgerbeteiligung. Ein Kommentar von Pamela Bartar, ZSI

Der Beitrag erschien in der Ausgabe 27/2014 von XING - Ein Kulturmagazin
ISSN 2075-2539

Der Wunsch nach lebensnahen Fragestellungen, Methoden und Vermittlungsangeboten seitens Wissenschaft und Forschung wächst. Dieser Trend zeigt sich aktuell bei Projekten, die den Bürger als Kollaborateur und die wissenschaftliche Unabhängigkeit eines ostentativen Laientums im Brennpunkt haben. Dabei handelt es sich um keinen neuen Typus : Die zuständigen nationalen und europäischen Gremien der Forschungspolitik haben partizipative Formen der Wissensproduktion als interessanten Zugang erkannt und fördern Projekte, die BürgerInnen möglichst früh involvieren. Wissenschaftskommunikation und Wissenschafts-PR sind in diesen besonders gefordert, über die Grenzen von Disziplin und Feld hinauszuwirken. Kreativität, Offenheit und Neugier am Alltag der Menschen sind gefragt.

Herausforderungen für die Wissenschafts-PR
Im Sinne des Ansatzes integrierter Kommunikation sind die Grenzen zwischen Wissenschaftskommunikation, PR und Marketing fließend. Ein Gedanke vorweg zur Klärung der Begriffe: Bei dieser Differenzierung handelt sich bei näherer Betrachtung weniger um eine fachliche Grenzziehung als um eine Frage des Selbstverständnisses. Während Wissenschaftskommunikation zum Instrumentarium des modernen Forschers zählt, wird Wissenschafts-PR in der Praxis tendenziell als externe Leistung von NichtwissenschafterInnen wahrgenommen und nachgefragt. Die Aufgaben sind, mit unterschiedlichen Gewichtungen, jedoch die gleichen, nämlich neues Wissen zu sichern, dieses auf seine Relevanz für soziale Systeme zu überprüfen und auf unterschiedlichen Wegen in die Öffentlichkeit zu übertragen. Dabei ist die zielgruppenorientierte Vermittlung von Inhalten von zentraler Bedeutung in einer durch rasche Veränderungen geprägten Medienwelt mit wechselndem Nutzungsverhalten und Konsummustern. Dies gelingt nicht ohne Mühe: Einerseits gilt es, Wissenschaftsprodukte als Grundlage des Fortschritts interessant und verdaulich zu inszenieren, andererseits wächst die Sorge der Fachöffentlichkeit, kritisches Denken zur sehr durch Sciencetainment zu verkümmern. Insbesondere bei Citizen-Science-Projekten ist die Wissenschafts-PR gefordert, weit mehr als die Klaviatur traditioneller PR-Instrumente wie Stakeholder-Kommunikation oder Pressearbeit zu bedienen. Wissenschafts-PR muss Menschen erreichen, deren Alltag fern von Wissenschaft und Forschung stattfindet.
Dies erfordert ein hohes Maß an Sprachgewandtheit und den flexiblen Umgang mit einer Palette von Rhetoriken: Das Karussell der Disziplinen, die Politik und die Sprache des Alltags nutzen jeweils unterschiedliche Diktionen, Bilder und Sprachökonomien. Das Downstaging komplexer Inhalte,  wie es in der PR-Sprache heißt, bedeutet eine Herausforderung, die nicht alle ForscherInnen gleichermaßen gut bewältigen und auch für PR-Professionalisten eine anspruchsvolle Aufgabe darstellt.

Wozu forschen Bürger?

Ein Zusammenhang von Citizen Science (BürgerInnenwissenschaft) und sozialer Innovation liegt nahe und lässt in Gesprächen darüber reflexartig Erwartungen in Bezug auf einen hohen gesellschaftlichen Nutzen aufkommen. Dieser ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, so unterschiedlich und kontextualisierungsbedürftig sind Aufbau und Fragestellungen der Projekte. Citizen Science umfasst unterschiedliche Ausprägungsformen, die beispielsweise durch die Art und Intensität der Beteiligung von BürgerInnen und WissenschafterInnen unterscheidbar werden. International populär wurde der Ansatz durch plakative Galaxie- und Vogelzählprojekte. Die Themen und Verfahren sind jedoch bei weitem vielfältiger und reichen von der Zoologie, Meeresbiologie, Medizin bis hin zur kollaborativen Musikkomposition, in denen WisschenschafterInnen neue Ansätze für die Innovationsforschung zu finden hoffen. In eine ähnliche Kerbe schlagen Konsultationen von BürgerInnen zu Themen wie Nanotechnologie im Alltag, die mit Hilfe von Wissenschaftskommunikation zu einer bewußten und fundierten Meinungsbildung beitragen wollen.

Bei all diesen Formen spielen eine ausbalancierte Vermittlung von Orientierungs- und Spezialwissen und das gegenseitige Lernen auf „gleicher Augenhöhe“ zwischen Laien und ForscherInnen eine wesentliche Rolle ist Ilse Marschalek, ZSI-Projektleiterin von NanOpinion, überzeugt. Gleichzeitig ist die Wirkung, ausgehend von partizipativen und dialogorientierten Maßnahmen, nur mit einem hohem Aufwand erfassbar. Dies wäre aber notwendig, um Vertrauen in diesen aufwendigen Weg bei Fördergebern und Bevölkerung zu schaffen. Auch Barbara Kieslinger, ZSI-Expertin und Mitarbeiterin des europäischen BürgerInnenwissenschaftsprojekts Socientize, sammelte ähnliche Erfahrungen und verweist darauf, dass es keine Standard-Projekte gibt. Entsprechend werden auch immer unterschiedliche Wege zur Erfolgsmessung notwendig. Eine weitere Herausforderung sieht Barbara Kieslinger in den Vorgaben der öffentlichen Förderung, wie bespielsweise eine auf wenige Jahre begrenzte Finanzierung. Diese können den nachhaltigen Erfolg nach einem gelungenen Anschub wieder unterlaufen. Jene Projekte der BürgerInnenwissenschaft, die Erfolg versprechen, inkludieren, so die Forscherin, immer ausgeklügelte Anreizsysteme für LaienwissenschafterInnen. Der beste Treiber ist die intrinsische Motivation, wie sich bei Projekten zum Beispiel im Bereich der Krebsforschung im Rahmen des Projekts Socientize gezeigt hat.

Ein regelrechtes Plädoyer verfasste der deutsche Autor Peter Finke mit seiner jüngsten Publikation: In dieser attestiert der Wissenschaftstheoretiker der Wissensproduktion von Laien für Wissenschaft und Forschung ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial, so es den VertreterInnen gelingt, eine „kritisch-kooperative“ Konzeption zu entwickeln. Die besondere Attraktivität speist sich aus Problemen und Fragenstellungen, die aus dem Leben stammen. BürgerInnenwissenschaft folgt, aus diesem Blickwinkel betrachtet, dem Postulat einer emanzipatorisch verfassten Wissenschaft.

Diese positive Beurteilung wird keineswegs einhellig im Kreis der Professional Science geteilt. Wie Finke meint, geschieht dies aus Unsicherheit durch eine fehlende disziplinäre oder methodische Absicherung – in andere Worte gefasst–  den wissenschaftlichen Boden unter den Füßen zu verlieren. Gleichzeitig zählen vorrangige Argumente für die BürgerInnenwissenschaft wie Praxistauglichkeit und Nützlichkeit nicht zum wissenschaftlichen Kerngeschäft oder sind nur ein Aspekt davon.

In diesem Zusammenhang kommt Wissenschafts-PR eine wesentliche Rolle bei der Imagebildung und Reputationspflege von Citizen-Science-Projekten gegenüber den eigenen Reihen der Fachwelt zu. Um an Popularität zu gewinnen, laufen viele Präsentationen Gefahr, ein unrealistisches Bild anhand von zu offensichtlichen Erfolgsmeldungen abzugeben – Eine Strategie, die zu meist schnell entlarvt wird und bei Fachwelt und interessierter Öffentlichkeit zu Desinteresse führt. Um aus der Sackgasse der PR-Erfolgsgeschichten zu gelangen, müssen Wissenschafts-PR und Journalismus neue Erzählmuster entwickeln, die den Wert der grüblerischen Seite von Forschung und das Lernen in heuristischen Erkenntnisschleifen auf spannende Weise offenlegen.

Rot-weiß-rote Datensammler Während in den USA die Citizen Science schon länger eine markante Beteiligung erfährt, bildeten sich in Deutschland und Österreich erst in jüngster Zeit breitere Plattformen, die neuen Projekten und Initiativen einen Struktur geben: In Österreich wurde Anfang des Jahres das Portal citizen-science.at mit vier Projekten aus der Taufe gehoben. Von diesen wurde bisher vor allem Roadkill sichtbar. Es handelt sich um ein ambitioniertes Projekt der Universität für Bodenkultur, das auf Crowdfunding-Basis den Schutz von Wildtieren und VerkehrsteilnehmerInnen mit Hilfe einer App unterstützen will.  Roadkill entspricht dem Projekttypus der Citizen Science, der kollektives Wissen anzapft und Laien als Datensammler einbindet.
Weitere Facetten von BürgerInnenwissenschaft zeigt Socientize, , das im Jahr 2012 startete und in Kürze auf der Basis der Projekterfahrungen ein Weißbuch zu Citizen Science veröffentlichen wird. Das europäische Plattformprojekt mit österreichischer Beteiligung versammelt unterschiedliche Projekttypen und Fragestellungen, beispielsweise zur Krebsforschung,  zur Identifizierung von Hitzequellen in Städten, zu semantischen Spielen oder zu kollaborativen Kompositionen.
Im Schnittbereich von Wissenschaftskommunikation und Bürgerbeteiligung führt NanOpion, ebenfalls ein europäisch-österreichisches Projekt, in ganz Europa eine Umfrage über Nanotechnologien im Alltag durch.
Alle drei Projekte –  Roadkill, Socientize und NanOpinion –  zeichnen sich jeweils durch eine gelungene Disseminierungsstrategie aus. Einige Beispiele seien an dieser Stelle aus PR-Sicht skizziert:
Roadkill fand mit seiner Pressearbeit während der  Sommermonate 2014 Eingang in die österreichische Tagespresse  - wortgewandt und mit eingängigen Bildern gelang es auch bei wissenschaftsfremden  Medien zum Thema zu werden. Die gesammelten Presseclippings auf der Webseite dokumentieren die erfolgreiche PR-Arbeit.
Das europäisch-österreichische Plattformprojekt Socientize nutzte für das Collective Music Experiment (CME) die Marketingstrategie Imagetransfer. CME wurde dieses Jahr erstmals beim international renommierten Festival Sónar in Barcelona präsentiert und erfuhr dadurch eine rege Beteiligung  und Widerhall in der katalanischen Presse. Weitere Präsentationen folgten in Europa, beispielsweise bei der Ars Electronica 2014in Linz.
Das dritte Beispiel NanOpinon wandte bei seiner PR-Arbeit erfolgreich einen Mix aus traditionellen und sozialen Medien an. Zu ersteren zählten Medienpartnerschaften mit international renommierten Qualitätszeitungen wie The Guardian oder EL MUNDO. Um ins Gespräch mit den Menschen auf den Straßen zu kommen und eine möglichst hohe Reichweite mit markanten Kontaktzahlen zu erreichen, blieben, so die ZSI-Expertin Ilse Marschalek,  die Verschränkung von klassischer Medienarbeit, Social Media und Aktivitäten im öffentlichen Raum der Stadt oder in third places wie Festivals oder Einkaufszentren am zielführendsten: In Wien beispielsweise gelang eine niederschwellige Vermittlung des  komplexen Themas „Nanotechnologie im Alltag“ im bekannten Einkaufszentrum Lugner City

Annäherungsversuche: das Versprechen der Nützlichkeit
Wissen aus und über Wissenschaft ist nach wie vor ein exklusives. Ein Wandel  wird durch den Einsatz von Web 2.0 sowie sozial innovative Formen der Wissensproduktion und Vermittlung in ersten Ansätzen wahrnehmbar.
TV, Radio und Printmedien betreffend, listet die Fachliteratur vor allem drei Gründe für die mediale Berichterstattung auf: Diese umfassen die Argumente Nützlichkeit, Mitsprache und das Informationsrecht über die Ausgaben öffentlicher Gelder. Vor allem letzteres wird in der publizistischen Praxis aufgrund eines eher geringen Nachrichtenwerts durch bezahlte Inserate in den Forschungsbeilagen von Fachmedien und Qualitätszeitungen umgesetzt. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine kritische oder 360-Grad-Berichterstattung für alle Seiten des Medienbetriebs erstrebenswert ist. Gleichzeitig bleibt in den schrumpfenden Redaktionen immer seltener Zeit für eine Tiefenrecherche und meist nur Platz für wenige Zeilen oder Minuten der Berichterstattung. In diesem Spannungsfeld zwischen interessensgeleiteter Informationsaufbereitung und kritischer Berichterstattung kommt auf Wissenschafts-PR eine herausfordernde Rolle zu, die immer auch eine selbstkritische Haltung inkludieren sollte. Ein Balance-Akt für die Wissenschaft-PR , die – gelegentlich unter konsequenter Negierung der Gesetze des Medienbetriebs  –  für ein Thema oder ein Projekt die Werbetrommeln schlägt.

Das Weißbuch mit Titel „White Paper on Citizen Science in Europe“ erschien im Oktober 2014 und steht als Download auf der Webseite des Projekts Socientize zur Verfügung.

Projekte im Netz
www.socientize.eu
www.citizen-science.at
www.buergerschaffenwissen.de 
http://nanopinion.eu
http://collectivemusicexperiment.eu

Referenzen
Interviews mit den ZSI-ExpertInnen Ilse Marschalek und Barbara Kieslinger im August 2014

Peter Finke: Citizen Science: Das unterschätze Wissen der Laien. München 2014

Ulrike Felt: Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Perspektiven der Wissenschaftsforschung. In: Hug, Theo (Hrsg.) (2001): Einführung in die Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung, Band 4. Hohengehren

Winfried Göpfert: Öffentliche Wissenschaft. Ist der  Wissenschaftsjournalismus das Sprachrohr der Wissenschaft? In: Hug, Theo (Hrsg.) (2001): Einführung in die Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung, Band 4. Hohengehren.

Zur Person
Pamela Bartar studierte Kommunikationswissenschaft und Kulturmanagement und arbeitet seit 2009 am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) in Wien. Zu ihren Schwerpunkten zählen Wissensschafts-PR, Wissenschaftskommunikation, Web 2.0 und Rhetorik. Ein weiterer Fokus liegt auf den Themen Auslandskultur, Kunst und Journalismus: Als Mit-Herausgeberin initiierte sie 2005 das Medium www.connectingculture.at

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Tags: citizen science, knowledge society, participation, social innovation