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‚Open Innovations’ durch stärkere Bürgerbeteiligung in Politik und Inklusion

7. Oct. 2013

Editoral: Ein Kommentar von Christian Voigt, ZSI

6_editorial.jpg„Dass soziale Innovation Kernthema am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) ist, überrascht sicherlich nicht. Die in den letzten Jahren gestiegene Prominenz von sozialer Innovation in den Medien und diversen Forschungsförderprogrammen hingegen könnte durchaus überraschen. Der Bedarf an sozial innovativem Denken und Handeln war sicherlich schon früher gegeben, die globale Finanzkrise um die Jahre 2008/2009 und die darauffolgenden Staatsverschuldungen in einem noch nicht gekannten Ausmaß waren letztendlich nur die sichtbaren Folgen struktureller Ungleichheit in den Feldern Beschäftigung, Lohn oder Teilhabe an sozialen Absicherungssystemen und in steigendem Maße undurchsichtiger Spekulationen, deren Risiken in vielen Fällen nicht mehr absehbar sind. Die mit der Finanzkrise einhergehenden Diskussionen über das gesellschaftliche Gemeinwohl, steigende Umweltschäden oder aufkommende Anti-Europa-Strömungen hatten jedoch auch einen positiven Effekt. Immer mehr Menschen interessieren sich für diese Problemlagen und sind oft auch ausreichend sensibilisiert, um aktiv zu deren Lösung beizutragen.  

Crowdsourcing, ein Konzept, das schon länger im unternehmerischen Umfeld erfolgreich ist, propagiert das Outsourcen von Aktivitäten an Kunden oder interessierte Online-Gemeinschaften (Howe, 2006). Google-MitarbeiterInnen produzieren ihre eigenen Lerninhalte, Unternehmen können Forschungs- und Entwicklungsaufgaben über Innocentive.com "crowdsourcen" oder Amazon's Mechanical Turk ermöglicht Software­unternehmen kleinere Fehler in ihren Produkten zu finden und zu beheben. In diesen Fällen ist Crowdsourcing eine kosteneffiziente Beschaffungsstrategie, basierend auf einer neuen Form der Arbeitsteilung (Jahnke & Prilla, 2008).

Das gleiche Konzept kann auch zur Förderung sozialer Innovationen genutzt werden. Die eingangs beschriebenen gesellschaftlichen Probleme brauchen eine breite Beachtung, die sich möglicherweise über Crowdsourcing-Mechanismen schneller erreichen lässt, als durch die üblichen Medienkampagnen oder politische Diskussionsprozesse. Letztere sind natürlich noch immer wertvolle Instrumentarien, um soziale Innovationen umzusetzen, könnten jedoch durch eine Crowdsourcing-Komponente beträchtlich an Dynamik und Effektivität gewinnen. Ein beeindruckendes Beispiel ist ‚Brighter Planet’. Die Website errechnet eine persönliche CO2 Bilanz und unterbreitet Vorschläge wie CO2 Emissionen reduziert werden können. Gleichzeitig fördert die Plattform zum Mitmachen bei diversen Klimaschutzprojekten auf und unterstützt damit typische Crowdsourcing-Aktivitäten wie Daten sammeln, Problemlösen in Communities, Lobbying bei politischen Entscheidungsträgern, oder Bildungsangebote zur nachhaltigen Lebensgestaltung erstellen.  

In diesem Sinne ist auch das Zentrum für Soziale Innovation in stärkerem Maße in Projekte eingebunden, die in der einen oder anderen Form Crowdsourcing einsetzen. Bevor auf aktuelle Beispiele genauer eingegangen wird, noch ein klarer Vorbehalt: Nicht alles am Crowdsourcing-Trend kann unkritisch übernommen werden. Insbesondere die angemessene Kompensation externer – wenn auch freiwilliger – MitarbeiterInnen oder die crowd-basierte Legitimation von Entscheidungen und Externalisierung von Verantwortungen stellt noch einen Graubereich beim Konzipieren nachhaltiger Crowdsourcing-­Systeme dar. Im folgenden möchte ich zwei Projekte vorstellen, die mit einer Crowdsourcing-Idee verwandt sind und in denen das ZSI mitgearbeitet hat bzw. noch mitarbeiten wird.

Europäische Bürgerkonferenzen
Als erstes würde ich die Europäischen Bürgerkonferenzen nennen (http://ecc.european-citizens-consultations.eu). Crowdsourcing wird häufig mit dedizierten Online-Plattformen in Verbindung gebracht, die als virtuelle Anlaufpunkte für Personen mit gemeinsamen Interessen oder Zielen dienen. Obwohl es so einen virtuellen Anlaufpunkt auch bei den europäischen Bürgerkonferenzen 2006 – 2007 gab, stand dort der persönliche Austausch im Vordergrund. Über 1.800 Bürger aus 27 Ländern diskutierten Empfehlungen zu den Themen Energie, Umwelt, Soziales, Immigration und der globalen Rolle der EU.

Bürgerkonferenzen wurden in mehreren Ländern parallel durchgeführt und phasenweise auch über Videokonferenzschaltungen miteinander verlinkt. In den einzelnen Konferenzen wurden Roundtable-Diskussionen moderiert, Stimmungen verbal und zeichnerisch aufgefangen, um dann schlussendlich über verschiedene Abstimmungsprozesse zu finalen Empfehlungen zu kommen.

Was haben also Bürgerkonferenzen mit Crowdsourcing zu tun? Beides zielt darauf ab, BürgerInnen an Entscheidungsprozessen oder Lösungsfindungen zu beteiligen und implementiert somit eine Art von Partizipationskultur. Beide Methoden verfügen über Koordinationsmechanismen, um eine Vielfalt von Meiningen, Bewertungen und Ideen zu filtern und in eine überschaubare Menge von Aussagen zu überführen. Beim Crowdsourcing haben wir eine Eigenselektion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Bürgerkonferenzen hingegen müssen ihre Teilnehmer so selektieren, dass eine repräsentative Gruppe entsteht.
Wie schon erwähnt, Crowdsourcing-Interaktionen sind stark technologisch getrieben. Die meisten Online-Diskussionsforen sind weit vernetzt, d.h. jeder Kommentar kann noch zusätzlich über Twitter, Facebook & Co. verbreitet werden. Anders als bei den örtlich gebundenen Bürgerkonferenzen besteht hier ein ganz anderes Verbreitungspotential. Der Nachteil verteilter Web 2.0 Kommunikation liegt jedoch in ihrer Kurzlebigkeit und dem Verlust von Kontextinformationen. Häufig ist nicht mehr nachvollziehbar, wie eine Diskussion entstanden ist und warum sie geführt werden muss.

Der letzte Unterschied ist charakteristisch für die meisten Vergleiche von on- und offline Szenarien und hat mit der Reichhaltigkeit eines Kommunikationsraumes zu tun (siehe media richness theory). Bestimmte affektive Stimmungen werden im persönlichen Gegenüber immer noch leichter wahrgenommen, als wenn wir versuchen, zwischen den Zeilen einer E-Mail zu lesen. Diese Leichtigkeit, auch subtile Argumente im Diskussionsprozess unterzubringen, hat dann natürlich auch Auswirkungen auf die Authentizität der Ergebnisse.
Letztendlich bringt uns dieser Rückblick auf die Bürgerkonferenzen von vor sechs Jahren einen ganz konkreten Vorteil. Bürgerkonferenzen sind im Vergleich zu Crowdsourcing um ein Vielfaches teurer und zeitintensiver. Es stellt sich also die Frage, ob kostengünstigere Crowdsourcing-Initiativen die Vorteile einer Bürgerkonferenz auch realisieren können und wenn ja, wie.

CAP4Access – Eine Plattform zur Förderung der Barrierefreiheit in Europäischen Städten und Regionen
CAP4Access ist nun ein ganz anderes Projekt. Im Zentrum des Projekts steht eine Crowdsourcing-Plattform, die Barrieren für Menschen mit Behinderungen visualisiert, diese dokumentiert, aber auch alternative Zugangsmöglichkeiten anbietet. Online-Karten, die auf mobilen Geräten (Smartphones, Tablets etc.) angezeigt werden, bilden die Grundlage zum Sammeln und "Crowdsourcen" der Informationen. Das Projekt wird voraussichtlich am 1. Januar 2014 starten und dann werden zuerst ein paar konzeptionelle Fragen geklärt.
Eine erste Übersicht gibt es hier: https://ec.europa.eu/digital-agenda/sites/digital-agenda/files/CAP4Access_Factsheet.pdf

Eine zentrale, wenn auch nicht neue, Frage wird die Motivation der Crowdsourcer sein. Natürlich möchten wir so viele Personen wie möglich zum Mitmachen gewinnen und dabei muss vieles bedacht werden: Intuitive Bedienung, verschiedene Beitragsmöglichkeiten, um unterschiedlichen Motivationsgraden gerecht zu werden und schlussendlich eine gesunde Balance zwischen Relevanz, Menge und Qualität der gesammelten Daten.
Was mir an diesem Projekt besonders gefällt, ist der Mix aus technologischen und sozialen Innovationen. Auf der technologischen Seite wird die Herausforderung unter anderem darin bestehen, die Vielfalt und Komplexität der Informationen, auf einer begrenzten Fläche, wie beim Smartphone, anwendungsgerecht darzustellen.
Auf der sozialen Seite wird die Involvierung möglichst vieler Bevölkerungsgruppen in den Crowdsourcing-Prozess auch einiges an Kreativität abverlangen – Stakeholder Analysen, Gamifications, Competitions, Medien Kampagnen, Simulationen, Design Thinking, Mapping Partys, Experimentierworkshops, verschiedene Apps und vor allem die Einbindung bestehender Netzwerke werden unsere ersten Aktionen sein.
Innerhalb des Projektes können wir auf schon Bestehendem aufbauen, ein Beispiel ist die Wheelmap, von den Sozialhelden e.V. in Berlin entwickelt, ein anderes sind die  Community Maps von Mapping for Change, ein soziales Unternehmen aus London.“
 
Wenn Sie sich mit uns über Crowdsourcing austauschen möchten, freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme: voigt@zsi.at

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Tags: inclusion, open innovation, participation, social innovation

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