Wiener Zeitung: "Soziale Innovation: Zielsetzung, Zweck und Wirkung"
16. Apr. 2014
Lesen Sie das Orignalinterview von Eva Stanzl in voller Länge auf der Webseite der Wiener Zeitung.
Der Begriff der Innovation ist nach wie vor stark Ökonomie und Unternehmensführung zugeordnet. Soziale Innovation aber bezeichnet die Entstehung, Durchsetzung und Verbreitung neuer sozialer Handlungsweisen.
"Wiener Zeitung": "Einen Kaffee für mich und eine Sospeso": Diese Bestellung kann nun auch in einigen österreichischen Kaffeehäusern abgegeben werden. Bei der Aktion aus Neapel zahle ich einen Kaffee für mich und einen im Voraus für jemanden, der es sich nicht leisten kann. Die Idee ist, dass jeder seinen Platz im Kaffeehaus haben sollte. Warum sind Soziale Innovationen wie diese derzeit in?
Josef Hochgerner: Es ist ein Krisenphänomen. Die Mainstream-Politik hat das Thema nach dem Einbruch der Finanzkrise aufgegriffen - US-Präsident Barack Obama hat 2009 ein "Office of Social Innovation" ins Leben gerufen. Inhalte sind Bildung, Erziehung und Gesundheit, aber auch wirtschaftliche Probleme. Die EU-Kommission wiederum publizierte einen Bericht mit dem Titel "Die Zukunft der Innovation in Europa ist Soziale Innovation". Ziel war nachhaltiges Wachstum, Sicherung von Arbeitsplätzen und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Demnach ist Innovation nicht nur ein wirtschaftlicher Mechanismus, sondern mit dem sozialen Klima verbunden, in dem sie entsteht.
Sie haben das Zentrum für Soziale Innovation bereits 1990 gegründet. Was halten Sie von den neuen, politischen Initiativen?
Ich sehe sie kritisch, denn soziale Innovationen sind nicht neu, und eine Erfindung wird nicht sozial, nur weil man ihr dieses Etikett verpasst. Zudem tut nicht jede soziale Innovation automatisch gut. Neue Praktiken zur Lösung von sozialen Problemen, die angenommen und genutzt werden, müssen nicht alle davon Betroffenen für gut befinden. Diese Form der gesellschaftlichen Problemlösung ist also kein Allheilmittel.
Aber was macht eine soziale Innovation zu einer solchen?
Die Zielsetzung, der Zweck und die Wirkung. Eine technische Innovation bringt einen ökonomischen Mehrwert in Form eines neuen Produkts, dessen Effekte sind in Zahlen von Beschäftigten, Umsatz oder Gewinn messbar. Eine soziale Innovation bringt einen sozialen Mehrwert. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist das Siegerprojekt des Sozialmarie-Preises 2010. Studenten der Universität Budapest hatten eine Roma-Siedlung an der Grenze zu Kroatien besichtigt. Etwa 1000 Roma drohte der Rausschmiss aus desolaten Sozialbauten wegen hoher Mietrückstände. Die Studenten haben einen norwegischen Fonds ausfindig gemacht, der Gelder für Bauprojekte bereitstellt und ihnen 20.000 Euro gab. Sie haben ein Renovierungscamp nahe der Siedlung aufgeschlagen, Preise mit Baumärkten und Professionisten ausgemacht und zusammen mit den Bewohnern die Häuser renoviert. Mit der Stadtverwaltung haben sie ausverhandelt, dass die Arbeitsstunden jener Bewohner, die mitarbeiteten, gegen die Mietrückstände aufgerechnet werden. Das Ergebnis waren renovierte, thermosanierte Wohnungen und Empowerment für die Bewohner, die gemerkt haben, dass mitzumachen etwas bringt. Natürlich hatte diese soziale Innovation auch ökonomische Effekte. Aber im Vordergrund stand die Rettung der Menschen.
Wie sieht die Siedlung heute aus?
Ich habe sie nicht gesehen, aber ich weiß, dass die Studenten im nächsten Sommer wieder so etwas machten. Selbst wenn sie heute nicht mehr am Werk sind, haben sie etwas vorgezeigt.
Das Flugzeug bringt theoretisch jeden in alle Teile der Erde. Wir können somit leichter persönlich kommunizieren. Ist es nicht auch eine soziale Innovation?
Alle Innovationen sind sozial relevant, weil ein Zweck damit verbunden ist und eine Wirkung. Somit stellt sich immer die Frage, für wen eine Innovation Vorteile und für wen sie Nachteile hat. Allerdings wird nicht in allen Fällen näher darauf eingegangen, denn bei technischen Innovationen werden Input und Output gemessen. So mag die Glock-Pistole eine fantastische Innovation für die Waffen-Industrie sein, aber im Vordergrund steht der Gewinn. Der soziale Mehrwert ist hier sogar negativ. Bei Überwachungstechnologien ist es nicht ganz so eindeutig. Denn wenn man annimmt, dass die Leute glauben, dass öffentliche Kameras ein Sicherheitsgefühl vermitteln, ist der Effekt ja auch positiv.
Wäre eine Kriminalitätsbekämpfung ohne Überwachungskameras nicht eine geniale Innovation?
Das wäre natürlich genial. Wohlstand und Sicherheit für möglichst viele bremsen zum Beispiel die Kriminalität ein. Das Ziel müsste eine relativ geringe Spanne zwischen Reichen und Habenichtsen sein, ebenso wie möglichst viele soziale Kontakte und kulturell-soziale Veranstaltungen. Allerdings gibt es nicht die einzige, große Innovation, die das ermöglicht. Medellín in Kolumbien verlor auch nur durch eine Reihe von baulichen und systemischen Maßnahmen den Ruf als gefährlichste Stadt der Welt, ebenso wie der Sozialstaat ja aus vielen Innovationen aufgebaut wurde. Erst nach und nach ergaben sich dabei weitere soziale Innovationen mit systemischem Charakter. Wenn man sich allerdings anschaut, wie innovationsfeindlich unser Schulsystem heute ist, wird einem auch klar, dass soziale Innovationen einen Lebenszyklus haben.
Ist etwa der Lebenszyklus der Gewerkschaften vorbei, weil diese die Arbeitnehmer nur noch halbherzig vertreten, sich jedoch gegen Reformen stemmen?
Die Gewerkschaft war eine fundamentale Innovation in der Arbeitswelt. Heute ist sie Institution, die Innovationsfähigkeit nicht wahnsinnig hoch anrechnet und die erworbene Rechte verteidigt. Innovativ wären neue Vertretungsformen und ein neues Verständnis davon, was Interessenpolitik überhaupt ist. Die Vorstellung von "der Arbeitgeber gibt die Arbeit und der Arbeitnehmer nimmt sie und macht daraus Pommes Frites" ist schwer auf die Gegenwart anzuwenden, denn die Arbeitsformen haben sich verändert. Im 19. Jahrhundert war das Kollektiv mehr als der Einzelne und das Unternehmen ein Vis-à-vis. Was Gewerkschaften heute schaffen müssten, ist, mit unterschiedlichen Interessen umzugehen, es gibt keine ausschließlichen Interessen auf der einen und auf der anderen Seite.
In Wien lief jüngst ein Symposion zur Forschungszusammenarbeit mit dem Westbalkan. Das ZSI arbeitet seit Jahren an der Integration im Westbalkan und auch in der Ukraine. Wie werden sich die Dinge dort entwickeln?
Schon nach der Orangen Revolution wollten die Ukrainer nach Westen. Das kommt in Russland schlecht an, denn die Russen haben das Zarenreich noch nicht aufgegeben. Ich fürchte, Russland wird sich mit der Krim nicht zufrieden geben. Kiew ist als alte Hauptstadt der Ursprung der russischen Nation und damit so etwas wie das Amselfeld für Serbien. Putin nahm handstreichartig die Krim - fast elegant. So etwas retten unsere Projekte nicht.
Zur Person
Josef Hochgerner ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI), das er 1990 in Wien gründete. Er studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien. Hochgerner war Referent für Sozialpolitik der Hochschülerschaft, Mitarbeiter der Arbeiterkammer Wien, Mitglied im Kuratorium des Wissenschaftsfonds FWF und des Präsidiums des Fonds zur Förderung der gewerblichen Forschung (FFF). Der Vorsitzende der European School of Social Innovation leitet den international ersten Studiengang "Master of Arts in Social Innovation" an der Donau Universität Krems und hält einen Lehrauftrag für "Soziale Innovation" an der Alpe Adria Universität Klagenfurt.
Tags: social innovation