Editorial: Wie steht es um soziale Innovation in Österreich?
1. Sep. 2014
Österreich wäre kein Sozialstaat geworden, hätte es nicht seit langem viele, insbesondere auch systemische soziale Innovationen gegeben. Dazu zählten etwa die Einführung der Unterrichtspflicht im 18. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert die Durchsetzung von Gewerkschaften neben ersten Kammer-Organisationen (Handelskammer 1849) und die Anfänge von Unfall- und Krankenversicherungen (1888/89). Der Ausbau des österreichischen Wohlfahrtsmodells nach dem Zweiten Weltkrieg lief lange Zeit parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung im "goldenen Zeitalter des Kapitalismus" (Eric Hobsbawm) von etwa 1950 bis in die 70er Jahre. Der in dieser Zeit innerhalb des wachsenden "Kuchens" (rasches Wirtschaftswachstum über niedrigen Inflationsraten) steigende Anteil von Lohneinkommen am Nationaleinkommen ermöglichte die Ausweitung von Sozialleistungen, was ein Bewusstsein schuf, dass Wohlstand durch anteilige Steigerungen der Lohneinkommen an Wachstums- und Produktivitätsgewinnen (Richtlinie: "Benya-Formel") und ausgleichende staatliche Transferleistungen beständig verbreitert werden könne. Ein spezifischer Bedarf an etwas wie sozialer Innovation schien daher nicht gegeben, während jedoch die zunehmende Bedeutung von Forschung, technischer Entwicklung und Innovation - v.a. in Form neuer Produkte und Produktionsverfahren - zur Sicherung von weiterem Wirtschaftswachstum erkannt und dafür Fördereinrichtungen geschaffen wurden.
Den konkreten Anfang dieser Entwicklung markiert das Forschungsförderungsgesetz 1967, aufgrund dessen zwei Fonds, für wissenschaftliche Forschung (FWF) und für Forschung der gewerblichen Wirtschaft (heute: Bereich Basisprogramme der FFG), ihre Arbeit aufnahmen. Im Lauf der Zeit hat sich aus diesen Anfängen ein komplexes System von Infrastrukturen für Forschung, technologische Entwicklung und Innovation (FTEI) entwickelt, das heute nicht nur Förderprogramme von Bundeseinrichtungen (Ministerien, aws u.a.), indirekte Maßnahmen zur Stimulierung von Forschung und Innovation im Steuerrecht, sondern auch zahlreiche Institutionen auf Länderebene, Forschungs- und Bildungsinstitute, Beratungsgremien (v. a. Rat für FTE), Plattformen und Netzwerke für Kommunikation und entsprechende Diskurse in Politik, Wirtschaft und weiterer Öffentlichkeit umfasst. Dass in dieses expandierende Innovationssystem - gerade wegen seiner Wirksamkeit im Sinn technischer Entwicklung und wirtschaftlicher Effizienzsteigerung - Kapazitäten und Kompetenzen für die Berücksichtigung der sozialen Dimensionen von technisch-wirtschaftlichen Innovationen und insbesondere von gezielten sozialen Innovationen integriert werden müssten, war der Tenor meiner Publikationen zum Thema soziale Innovation und technische Entwicklung ab etwa 1988 - und das wesentliche Motiv zur Gründung des ZSI 1990.
Erst ab dem Jahr 2000 entstanden weltweit verschiedene Organisationen ähnlicher Art, beginnend mit dem Center for Social Innovation der Stanford University in Kalifornien; richtig prominent wurde soziale Innovation ab dem Jahr 2009 - ganz im Zeichen der Finanzkrise durch Top-down Entscheidungen von EK Präsident Barroso und US Präsident Obama. Seither kam es zu einer starken Verankerung des Themas in der Spätphase des 7. EU Rahmenprogramms für FTE, sowie nun in Horizon 2020. Darüber hinaus gibt es mittlerweile eine Vielfalt an privaten und öffentlichen Initiativen für soziale Innovation in zahlreichen Ländern Europas und anderen Kontinenten.
In Österreich hat die Strategie der Bundesregierung für Forschung, Technologie und Innovation im Jahr 2011 zwar die Bedeutung von sozialen Innovationen anerkannt und betont; konkrete Maßnahmen für Impulse und zur Unterstützung von sozialen Innovationen stehen aber noch aus. Verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre, beginnend mit der Etablierung des internationalen Preises für soziale Innovationen SozialMarie 2005 bis herauf zu aktuellen Veranstaltungen wie der Stakeholderkonferenz 'Gesellschaftliche Innovationen und Sozialunternehmertum' im Juni 2014 zeigen an, dass Österreich nicht nur traditionell durch soziale Errungenschaften, sondern auch aktuell eines jener Länder ist, wo soziale Innovation hohe Potenziale hat. Deren Nutzung erfordert jedoch die Integration von geeigneten Förderinstrumenten in das österreichische Forschungs- und Innovationssystem - ein Anliegen, das derzeit auch in Deutschland hoch auf der Agenda steht. Dies ist das Thema der Enquete 'Wie bringt Österreich soziale Innovationen in Bewegung?' im Rahmen des Ö1 Open Innovation Forums 2014 am 17. Oktober (s. dazu den Beitrag weiter unten in diesem eJournal). Die Ausschreibungen und Sendungen von Ö1 im Rahmen des Schwerpunkts 'Open Innovation' seit 2013 sind dazu eine hervorragende mediale und inhaltliche Unterstützung. Ebenfalls im Oktober wird zum zweiten Mal der Master-Studiengang für soziale Innovation an der Donau Universität Krems gestartet, der ein Kernelement der entstehenden Infrastruktur und des Aufbaus der European School of Social Innovation (ESSI) ist.
Während ESSI noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen steckt, ist das ZSI mittlerweile erwachsen geworden und einer der zentralen internationalen Akteure in unserem namensgebenden und weiteren Themenfeldern. Wir werden jetzt auch vielfach 'beim Namen genommen'; aufgrund des nunmehr massiven Interesses an sozialen Innovationen und unserer Reputation sowie Erfahrung seit einem runden Vierteljahrhundert kommen neue Interessenten und potenzielle Klienten auf das ZSI zu.
Dafür hat sich das ZSI im laufenden Jahr gut und teilweise neu aufgestellt: Diesen Sommer erfolgte sowohl die Umstellung auf das Arbeiten in der Rechtsform einer gGmbH, wie auch die Bestellung einer neuen wissenschaftlichen Leitung in der Person unseres früher langjährigen kaufmännischen Leiters Klaus Schuch. Er übernimmt diese Funktion am 1. Oktober 2014, bildet mit Wolfgang Michalek die Geschäftsführung, und führt wie gehabt gemeinsam mit unseren BereichsleiterInnen Elke Dall, Anette Scoppetta und Christian Voigt im Team die ZSI GmbH. Ich weiß damit das ZSI nicht nur in besten Händen, sondern erwarte hoffnungsfroh neue Akzente und viel Schwung für die nächsten Jahre. Anzumerken bleibt, dass ich nicht nur 25 Jahre dem ZSI gewidmet habe: Ich werde in Teilzeitbeschäftigung für einzelne Projekte (konkret etwa SI-DRIVE) und spezische Aufgaben weiterhin für das Institut arbeiten. Daher ist dies kein Abschied und ich kann nicht sagen 'es hat mich sehr gefreut'; vielmehr freut es mich noch immer, Teil einer derart spannenden Entwicklung am ZSI und in der österreichischen bzw. internationalen Bewegung für soziale Innovation zu sein!
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Tags: Austria, history of ZSI, social innovation