Im Porträt: ZSI-Forscher Stefan PHILIPP
12. Apr. 2021
CHERRIES ist ein von der EU im Rahmen von HORIZON 2020 gefördertes Projekt und wird vom ZSI koordiniert. Das Projekt experimentiert mit verantwortungsvollen, Forschungs- und Innovationspolitische Ansätzen (RRI) im Gesundheitssektor in drei europäischen Gebieten - in Murcia (ES), Örebro (SE) und der Republik Zypern (CY). Die Open Innovation-Experimente untersuchen die Chancen und Herausforderungen im Kontext von missionsorientierter Standortpolitik innerhalb eines besonders komplexen Sektors.
Um eine Evidenzbasis für die Revision sektoraler Strategien und Instrumente zur Innovationsförderung zu gewinnen, werden die politischen Rahmenbedingungen im Gesundheitssektor, die Prozesse und Ergebnisse in Bezug auf die transformativen Experimente analysiert und evaluiert. Dabei bezieht CHERRIES die territorialen Stakeholder-Systeme in partizipatives Agenda-Setting, Bedarfsartikulation und institutionelle Reflexionsprozesse ein.
Das Projekt, das Anfang 2020 gestartet wurde, wird von Stefan Philipp vom ZSI koordiniert, der folgendes Interview dazu gegeben hat:
Stefan, worum geht es in Eurem Projekt?
Wir experimentieren mit verantwortungsvollen und nachfrage-orientierten Innovationsprozessen auf regionaler Ebene. Im Kern geht es darum, an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Innovationspolitik Probleme oder Bedürfnisse zu identifizieren und anschließend innovative Lösungen dafür zu fördern. Voraussetzung dafür ist, dass der/die Innovator*in die Lösung in Kooperation mit den Menschen entwickeln muss, die das Problem identifiziert haben, um sicher zu gehen, dass die Lösung „passt“. Ziel ist es, dass die innovativen Lösungen dazu beizutragen, dass entweder die Servicequalität im Gesundheitsbereich steigt, Kosten eingespart werden oder beides zugleich. Da wir diesen Prozess innerhalb dreier Regionen breit und offen aufsetzen, hoffen wir die Reflexivität beider Sektoren, also der Gesundheitspolitik und der Innovationspolitik, zu erhöhen und eine partnerschaftliche Kultur in der Entwicklung neuer Ansätze zu etablieren.
Was findest Du dabei besonders spannend?
Der öffentliche Gesundheitssektor ist ein zentrales Element und eine große Errungenschaft des modernen Wohlfahrtsstaats. Noch nie waren wir so gesund und haben so lange gelebt. Gleichzeitig steht der Sektor unter massivem Druck. Eine alternde Bevölkerung, mit einer Vielzahl an chronischen Krankheiten und Komorbiditäten, neue Möglichkeiten in der personalisierten Medizin sowie steigende Ansprüche der Patient*Innen verändern die Ansprüche an den Sektor und erhöhen gleichzeitig den finanziellen Druck. Innovation – in einem umfassenden Verständnis, das über Technologie hinausgeht und die gesellschaftliche, organisationale Einbettung und wirtschaftliche Wirkung neuer Ansätze berücksichtigt – kann dazu beitragen diesen Herausforderungen zu begegnen.
Wo gibt es einen speziellen Forschungsbedarf und wie wird der angegangen?
Im Vergleich zu anderen Sektoren, ist unser Verständnis von Innovation im Gesundheitssektor unterentwickelt und fragmentiert. Was meine ich damit? Seit den 1990ern hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Innovation meist innerhalb von Innovationssystem entsteht, die von verschiedenen Akteuren, Netzwerken und Institutionen mit ihren formellen und informellen Regeln geprägt werden. Innovation wird als nicht-linearer Prozess voller Feedback-Schleifen sowie als Koevolution zwischen Elementen des Innovationssystems, verstanden. Dieser systemische Ansatz wird aber zur Beschreibung und Erforschung von Innovation im Gesundheitssektor bisher kaum angewandt. Dies hat mehrere Gründe: einerseits bringt der Sektor eine sehr hohe Komplexität mit sich und umfasst eine Vielzahl verschiedener Innovationsbedarfe, die meist isoliert und häufig linear betrachtet werden. Andererseits, ist die Forschung von medizinischen oder ökonomischen Perspektiven geprägt und Ansätze aus der Innovationsforschung haben sich oft auf einzelne Fälle konzentriert und es nicht geschafft eine umfassende sektorale Perspektive einzubringen.
Und das ist in CHERRIES anders?
Ja, genau – wir versuchen durch eine nachfrageorientierte Perspektive den Zugang zu Innovation in einem angebotsorientierten Umfeld, zu öffnen und dadurch eine Transformation des Sektors zu unterstützen. Gleichzeitig untersuchen wir den politischen Rahmen in diesen Regionen, um in der zweiten Hälfte des Projekts diesen gemeinsam mit den regionalen Akteuren weiterentwickeln zu können.
Worin zeigt sich der europäische Mehrwert?
Der politische Rahmen für Gesundheitspolitik unterscheidet sich zwischen verschiedenen Ländern, aber die großen Herausforderungen sind mehr oder weniger dieselben. Das bereitet den Boden für Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen auf. Gleichzeitig muss einem bewusst sein, dass die Eingriffe in diese politischen Systeme nur gelingen können, wenn sie die lokalen Gegebenheiten und Kulturen berücksichtigen. Es gibt keine one-size-fits-all Ansätze.
Wie steht Österreich in diesem Themenbereich?
Im CHERRIES Projekt, das erst im Jänner 2020, begonnen hat, haben wir keine österreichischen Fallstudien und daher kann ich über das Innovationssystem hier wenig sagen. Wir planen jedoch nach den ersten Experimenten in Schweden, Spanien und Zypern die Schaffung einer Community europäischer Regionen, die mit unserem Ansatz arbeiten wollen. Dabei steht Erfahrungsaustausch und Kapazitätsaufbau im Vordergrund. Dafür sind wir im Gespräch mit österreichischen Akteuren und hoffen dafür ein breites Interesse generieren zu können.
Wie bist Du zu dem Thema überhaupt gekommen? Gibt es dazu einen biographischen Anhaltspunkt?
(lacht) Ja, ich bin familiär-vorbelastet. Sowohl mein Großvater als auch Vater sind praktische Ärzte und durch die „typischen Tischgespräche“ habe ich ein Interesse und grobes Verständnis über die Bedürfnisse des Sektors von klein auf mitbekommen. Aber letzten Endes ist es ein bisschen Zufall, dass der Fokus auf dem Gesundheitssektor liegt – meine eigentliche Spezialisierung ist die regionale Innovationspolitik, was ja auch Kern von CHERRIES ist. Der thematische Fokus auf Gesundheit entstand in der Diskussion mit meinen Partnern als unser ursprünglicher Plan A, der auf Transformationsprozesse im Energiesektor angedacht war, zusammenbrach. Aber wie es das Schicksal will, wurde unser Plan A ein Jahr später gefördert und das Projekt RIPEET, das sich mit verantwortungsvollem Transition Management beschäftigt, startete im Februar 2021.
CHERRIES - www.cherries2020.eu https://www.zsi.at/de/object/project/5444
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Tags: health, innovation management, innovation systems analysis, Portrait, regional development